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Oliver Müller: "Erdölindustrie fordern, einen Beitrag zur Stadtgesellschaft zu leisten"

Es ist mal wieder ein nachtragshaushalt erforderloch, weil erneut die Gewerbsteuer ein weiteres Stück eingebrochen ist. Oliver Müller, Fraktionsvorsitzender Die Linke/BSG, stellte jetzt in der Ratssitzung am 28.09.2017 einige grundsätzliche Fragen:

"Eigentlich besteht unsere Finanzpolitik seit Jahren nur darin, wegbrechende Gewerbesteuereinnahmen zu kompensieren. Das heißt: Schulden anhäufen und ein bisschen Face-Lifting mit dem Rotstift. Das ist für uns alle frustrierend. Und für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet es, dass für zukunftweisende Politik in dieser Stadt vorne und hinten das Geld fehlt.

Für die Bürgerinnen und Bürger will ich das mal in nackten Zahlen deutlich machen:

Die Gewerbesteuereinnahmen sind jetzt auf nur noch 24,6 Millionen Euro gesunken. Davon zahlt die Erdölbranche gerade noch rund 1,2 Mio. Euro. Der Höchststand bei den Gewerbesteuern lag im Jahr 2008, also dem Jahr vor den Auswirkungen der Krise, bei gut 53 Millionen Euro. Davon kamen 24 Millionen Euro aus der Erdölindustrie. Stand aktuell also: Eine Million statt 24.

Erfreulich finde ich, dass die Verwaltung endlich einmal benennt, dass es nicht nur die Krise ist, die diesen gewaltigen Einbruch verursacht hat, sondern auch Firmenfusionen. Das heißt nichts anderes, als dass sich einige große Firmen bewusst aus der Verantwortung gestohlen haben und ihre Steuern nicht mehr hier zahlen, sondern – wenn überhaupt – woanders.

Wir können das nicht ändern. Aber ich will auf ein grundlegendes Versäumnis hinweisen, dass ich in der Verwaltungsspitze sehe. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir in einem engen Austausch mit den Firmenleitungen stehen. Ich erwarte von der Verwaltung, dass sie Anstrengungen zu einem regelmäßigen Austausch mit den Firmenchefs und den Betriebsräten unternimmt. Es ist doch kein Zustand, dass die Stadt nur über den Umweg Finanzamt von den Entwicklungen in der Industrie und den Auswirkungen auf den Haushalt der Stadt erfährt.

Und eigentlich sollten die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt auch erwarten können, dass die Unternehmensleitungen von sich aus diesen Austausch wollen.

Denn es ist die Stadt Celle, die die Schulen für die Kinder der Beschäftigten vorhält. Es ist die Stadt Celle, die für Freizeit- und Sportanlagen sorgt. Es ist die Stadt Celle, die die Infrastruktur versucht Instand und die Umwelt halbwegs intakt zu halten. Es ist die Stadt Celle die kulturelle Einrichtungen wie etwa das Schloßtheater, die CD Kaserne oder auch Kunst & Bühne unterhält,  und es sind sicherlich auch Angestellte & deren Angehörige unserer „Global Player“, die diese Angebote nutzen. Dies sind also für diese Fimen sicherlich wichtige Standortfaktoren.

Wie kann es aber sein, dass etwa eine Eckkneipe mehr Gewerbesteuer in das Stadtsäckel einzahlt, als einige dieser Multinationalen Konzerne ? Und wenn dann diese Kneipe sich an Kosten der Weihnachtsbeleuchtung beteiligt, obwohl auch sie gar nicht – wie auch etwa die Erdölfirmen - das Leuchten direkt sieht – die Chefin solch eines Lokals in ihrer Freizeit durch die Innenstadt läuft, um von anderen Klein- und Familenunternehmen Geld für eben diese Beleuchtung zu generieren – einfach nur weil die Erkenntnis vorherrscht, dass es in unserer Stadt um das „Ganze“ geht – wenn diese kleinen innerstädtischen Unternehmen Stadtfeste und andere nicht gewinnorientierte Projekte verwirklichen, dann sei mir doch die Frage gestattet: Wie es sein mag das sich die Top-Konzerne da so erfolgreich herraushalten können?

Ein Beispiel: Wir quälen uns mit der Frage der Finanzierung einer Sporthalle für den Bundesligabetrieb des SVG Celle. Aber es findet sich aus der Industrie nicht ein einziger Sponsor, der bereit ist, das Team vor der Insolvenz zu bewahren. Und für diese Unternehmen wäre es um die berühmt-berüchtigten Peanuts gegangen.

Wir sollten als Stadt endlich deutlich machen, dass wir von den Unternehmen der Erdölbranche erwarten, dass sie sich – wenn sie schon keine Steuern mehr zahlen – in irgendeiner anderen Weise in die Stadtgesellschaft einbringen, wie es dutzende kleine Unternehmen in der Altstadt oder in den Stadtteilen seit Jahren tun.

Eines noch dazu – im Zuge unserer internen Diskussionen zu diesem Thema fiel uns auf : Wer kennt eigentlich den Chef von Baker Hughes oder von Halliburton?  Die Chefin von Karstadt, den Inhaber von Wallach, den Geschäftsführer der SVO – ja, die kennen viele. Aber niemand, den ich in lezten Tagen ansprach, kennt die Chefetage unserer wirtschaftlichen „Aushängeschilder“. Ist doch sonderbar, oder? Vielleicht doch nur eine Parallelwelt, mit der wir uns als „Houston der Heide“ schmücken? Ich denke da muß eine neue Verbindlichkeit erzeugt werden!

Zu den einzelnen Positionen des Nachtragshaushalts will ich nur eine Anmerkung machen – und zwar zum Punkt „Ankauf von Bauland in Groß Hehlen“:

Die Fachverwaltung hat in ihrem Marketingkonzept „Celle. Dein Zuhause“ eigentlich eine andere Richtung vorgegeben. Dort wird vorgeschlagen, dass die Stadt Celle in der Konkurrenz mit den Landkreisgemeinden im Segment Eigentums- und Mietwohnungen und nicht mit Neubaugebieten punkten sollte. Und jungen Familien sollten Wohnungen aus dem Bestand schmackhaft gemacht werden.

Der Ausschuss für Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing hat diesem Konzept im Januar einstimmig zugestimmt. Wir finden diese strategische Ausrichtung stimmig.

Denn ich teile die Befürchtung, die hinter diesem Konzept steht: Nämlich dass wir in zehn, zwanzig Jahren in machen Stadtteilen sonst enorme Leerstände haben werden. Wir müssen doch zusehen, dass die Stadtteile mit Einfamilienhäusern, die in den 50er und 60er Jahren entstanden sind, attraktiv bleiben und sich nicht zunehmend entvölkern.

Ich weiß aber: Unsere Warnung wird leider nicht fruchten. Deshalb noch eine Anmerkung: Wenn schon Neubaugebiete ausgewiesen werden, sollte dieser Rat dafür sorgen, dass dort mit höchsten energetischen Standards gebaut werden muss. Aber leider sehe ich dafür noch keinerlei Mehrheiten."