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Rat kritisiert Freihandelsabkommen

Oliver Müller: Brechstange für Privatisierungen

Mit großer Mehrheit hat der Celler Stadtrat eine Resolution der Fraktionen von SPD, Bündnis '90/Die Grünen und Die Linke/BSG zu den Freihandelsankommen TTIP, CETA und TISA angenommen. Lediglich vier Ratsmitglieder stimmten dagegen, vier enthielten sich. Die Initiative ging zunächst von Die Linke/BSG und Bündnis '90/Die Grünen aus (siehe "Resolution gegen TTIP"). Nachdem anschließend auch die SPD eine eigene Resolution eingebracht hatte, entschlossen sich die drei Fraktionen zu einem gemeinsamen Antrag; hier zum Download:

Für die Fraktion Die Linke/BSG hielt Oliver Müller folgende Rede:

Freihandelsabkommen sind eine Brechstange für weitere Privatisierungen

Eins möchte ich mal vorausschicken: Ich finde es hochgradig nervig, mich mit internationalen Abkommen beschäftigen zu müssen. Aber wir haben nicht den Eindruck, dass auf Länder- und Bundesebene oder im Europäischen Parlament die Interessen der Kommunen die nötige Beachtung finden. Deshalb finden wir es wichtig, dass landauf, landab Stadt- und Gemeinderäte und Kreistage ihre Bedenken lautstark verkünden.

Von Flensburg bis Freiburg, von Aachen bis Frankfurt/Oder – inzwischen haben rund 200 Kommunen Resolutionen zu TTIP verabschiedet, die größte Dichte gibt es interessanterweise in Bayern. Wir hoffen, dass dies eine Wirkung bei denen hat, die „auf Teufel komm raus“ diese Abkommen durchdrücken wollen.

Aus unserer Sicht wäre es das Beste, wenn TTIP, CETA und TISA scheitern. Und dann kann man gern neu anfangen, darüber zu verhandeln, wogegen ja niemand etwas hat: die Vereinheitlichung von technischen Standards zum Beispiel.

Rund 1,7 Millionen Menschen haben europaweit mit ihrer Unterschrift inzwischen dazu aufgefordert, TTIP zu stoppen und CETA nicht zu ratifizieren. Das Interesse der Bevölkerung drückt sich auch darin aus, dass jetzt schon einige Wochen ein Buch von Thilo Bode auf der SPIEGEL-Bestsellerliste steht. Der Titel: „Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt – und uns allen schadet“. Ich zitiere mal aus diesem Buch, um die grundsätzlichen Fragen wenigstens kurz anzureißen; Bode schreibt:

„Heutige Freihandelsabkommen beschränken sich nicht auf die Angleichung technischer Standards für Autos und Maschinen, sie zielen nicht nur darauf ab, Zölle auf Importe zu senken oder abzuschaffen. Verträge wie das geplante TTIP berühren fast sämtliche Politikfelder vom Umweltschutz und der Landwirtschaft über das Arbeitsrecht bis zum Gesundheitswesen; sie greifen ein in den Patent- und Datenschutz, in die Standards für Lebensmittel und Chemikalien, sie betreffen Fragen der Energiegewinnung wie im Fall des Frackings, sie können die Regulierung der Banken verschlechtern und den Schutz ausländischer Investoren verbessern. Was daran am meisten beunruhigt: TTIP greift auch in die Gesetzgebung auf nationaler und europäischer Ebene ein, das Abkommen beschneidet die Rechte nationaler und europäischer Parlamente, ja, TTIP birgt das Risiko, die nationale und europäische Justiz durch eine Paralleljustiz zu schwächen.“

Ich will mal versuchen, in halbwegs verständlicher Sprache zu erklären, warum die Freihandelsabkommen gerade auch für die Kommunen eine Gefahr darstellen. Seit August 2014 ist ein erster Entwurf des CETA öffentlich verfügbar. Es ist also sinnvoll,

sich in der Kritik hierauf zu beziehen.

Ein Begriff, der im Zusammenhang mit diesen Abkommen eine wichtige Rolle spielt, ist „Marktöffnung“. Für den kommunalen Bereich geht es dabei um die Möglichkeiten und Formen von Privatisierung. CETA arbeitet da mit einem sogenannten „Negativlistenansatz“. Was bedeutet das?

Im Rahmen der Verhandlungen werden bestimmte Bereiche ausgespart. Im konkreten Fall betrifft dies EU-weit: den öffentlicher Nahverkehr und öffentliche Schwimmbäder. Für Deutschland steht auf der Negativliste zusätzlich: Wasser, Abfall, Gesundheit, Soziales, Bildung.

Was steht nicht auf dieser Negativliste? Gas, Strom, Fernwärme, Binnenhäfen, öffentliche Beleuchtung, Grünflächen, Breitband, sozialer Wohnungsbau.

Das heißt dann z.B.: Über eine Rekommunalisierung der Energieversorgung, die wir vor vier Jahren noch ernsthaft diskutiert haben, braucht ein künftiger Stadtrat sich keine Gedanken mehr machen. Bei der Frage der „öffentlichen Beleuchtung“ haben wir uns erst vor kurzem dafür entschieden, das weiter selbst zu erledigen. Wir werden es künftig für den „Markt“ öffnen müssen. Über den Sinn oder Unsinn der Ausgliederung von Aufgaben im Grünflächenamt brauchen wir künftig nicht mehr streiten – es läuft darauf hinaus, dass dies ausgeschrieben werden muss.

Die Freihandelsabkommen sind eine Brechstange für weitere Privatisierungen – und darüber entscheiden dann nicht mehr demokratisch gewählte Gremien.

Und noch zwei Beispiele:

1.) Wir haben die sogenannte „Celler Liste“, über die wir die Altstadt schützen. Ich gehe mal davon aus, dass diese Liste unter TTIP keinen Bestand haben wird.

2.) Im Januar hat die SPD-Fraktion einen Prüfantrag dahingehend gestellt, ob bei Auftragsvergaben das Kriterium der Anfahrtsweg des Auftragnehmers mit in die Bewertung einfließen kann. Es wäre eine sinnvolle Sache im Sinne von Nachhaltigkeit und Ökobilanz. Ich gehe nicht davon aus, dass das unter TTIP eine Chance hat.

Im Grundgesetz heißt es: „Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“

TTIP, CETA und TISA werden dazu führen, dass die Gesetze passgerecht gemacht werden für die „Marktöffnung“. Die Konsequenz ist eine schrittweise Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung.

Ein Gutachten des Zentrums für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen zu CETA zieht folgendes Fazit, ich zitiere:

„Das CETA beeinträchtigt durch [...] die weitgehende Marktöffnung auch im Bereich kommunaler Dienstleistungen und [...] das Verbot der gezielten Förderung lokaler Belange, die [...] im Grundgesetz verankerte Garantie der kommunalen Selbstverwaltung unverhältnismäßig.“

Was ist uns wichtig? Wir wollen, dass Celle kein leerer Fleck bleibt auf der Landkarte jener Kommunen, die TTIP, CETA und TISA kritisieren. Diese Kritik – ich bin mir da sicher – ist im Sinne der großen Mehrheit der Bevölkerung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Quelle: Europa‐ und verfassungsrechtliche Vorgaben für das Comprehensive Economic and Trade Agreement der EU und Kanada (CETA). Juristisches Kurzgutachten im Auftrag von attac/München. Prof. Dr. Andreas Fischer‐Lescano, LL.M. (EUI), Johan Horst, LL.M. (Georgetown). Zentrum für europäische Rechtspolitik (ZERP). Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Bremen
Abkürzungen:
TTIP = Transatlantic Trade and Investment Partnership
CETA = Comprehensive Economic and Trade Agreement
TISA = Trade in Services Agreement