Landkreis will Optionskommune werden

Behiye Uca (Die Linke) fordert Überweisung in Sozialausschuss

Manchmal erfüllen sich Forderungen, bevor sie gestellt werden können. Heute sollte in der Kreistagssitzung das Thema "Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Landkreis Celle" behandelt werden. Der Beschlussvorschlag der Verwaltung sah vor, dass der Kreis einen Antrag stellt, ab dem 01.01.2017 eine sogenannte "Optionskommune" zu werden. Das bedeutet knapp zusammengefasst, dass der Landkreis künftig die Verwaltung des SGB II ("Hartz IV") in eigener Regie führen will. Aktuell macht's das "Jobcenter", wobei - vereinfacht gesagt - in einer gemeinsamen Verwaltung die Bundesagentur für Arbeit (BA) für Regelleistungen und Vermittlung zuständig ist und der Landkreis Celle für die "Kosten der Unterkunft". Was also ansteht ist eine weitreichende Änderung - insbesondere für die Betroffenen und für die Mitarbeiter*innen des Jobcenter. Die Kreisverwaltung hatte anscheinend vor, das in einem "Hau-Ruck-Verfahren" durchzuziehen. Dies wollte Behiye Uca in ihrer Rede kritisieren, in der sie eine vorgeschaltete Beratung im Sozial- wie auch im Finanzausschuss forderte. In all seiner Weisheit beschloss der Kreisausschuss gestern, eine weitere Beratung im Sozialausschuss. Das Thema wurde von der Tagesordnung genommen. Warum das absolut nötig und richtig ist, lässt sich in der jetzt ungehaltenen Rede von Behiye Uca nachvollziehen. Hier der Text:

"Was wir heute hier erleben, ist aus meiner Sicht ein Akt der Überrumpelung. Am 9. Juli hat die Verwaltung den Kreistagsmitgliedern ihre Absicht zur Kenntnis gebracht. Ohne eine einzige Beratung im Sozialausschuss oder im Finanzausschuss ist die Vorlage gestern durch den nicht-öffentlich tagenden Kreisauschuss gegangen. Und heute schon soll der Kreistag eine derart weitreichende Entscheidung treffen? Ich halte dieses Verfahren für absolut unangemessen.

Niemand hier im Raum kann ernsthaft auf Grundlage einer Vorlage von nur vier Seiten eine derartig weitreichende Entscheidung treffen. Vier Seiten, die auf den ersten Blick zudem ziemlich einseitig erscheinen.

Ich finde es absolut notwendig, Stellungnahmen von Erwerbsloseninitiativen und Sozialverbänden einzuholen, von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Das hat im Sozialausschuss zu geschehen. Und ich halte es ebenso für absolut notwendig, dass die finanziellen Auswirkungen detailliert im Finanzausschuss dargelegt werden.

Oder wollen Sie allen Ernstes hier einem Entscheidungsprozess nach Gutsherrenart zustimmen?

Ich beantrage deshalb, den Vorschlag der Verwaltung zur weiteren Beratung in den Sozialausschuss und in den Finanzausschuss zu überweisen.

Soviel zum formalen Vorgehen.

Inhaltlich muss vor diesem Hintergrund die Kritik weitgehend allgemein bleiben.

Ich bin der Auffassung, dass die Kommunalisierung der Arbeitsverwaltung der falsche Weg ist. Erwerbslosigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und darf als solches nicht auf die Kommunen übertragen werden. Wer eine einheitliche Rechtsanwendung möchte, ...

wem an einer bundesweiten Arbeitsmarktpolitik gelegen ist, der sollte die Zuständigkeit für das SGB II nicht auf die Kommunen übertragen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat die „Optionskommunen“ immer abgelehnt, weil dadurch der einheitliche Arbeitsmarkt aus dem Blick geraten würde.

Und es gibt meines Erachtens keinen einzigen tragfähigen Beleg dafür, dass Optionskommunen ihren Job besser machen würden als Jobcenter.

Und die Erfahrungen der Erwerbslosen weisen auch in Celle das Gegenteil aus. Die vom Landkreis zu verantwortende Frage der „Kosten der Unterkunft“ ist seit 10 Jahren ein strittiger Faktor. Seit 10 Jahren gibt es in dieser Frage für die Betroffenen Rechtsunsicherheit. Vor dem neuen Wohnungsmarktgutachten hat sich der Landkreis zuletzt fast durchgängig bei gerichtsanhänigen Verfahren von seinen Vorstellungen verabschieden müssen. Das heißt: Die Kreisverwaltung hat den Betroffenen das Leben schwer gemacht. Bei den Regelleistungen konnten sich die Betroffenen wenigstens auf eine halbwegs einheitliche bundesweite Rechtsprechung und einheitliche Umsetzung verlassen.

Ja, es ist richtig. Auch bei der jetzigen Form ist vieles schlecht. Das meiste davon ist allerdings dem schlechten Gesetz geschuldet und weniger der Organisationsform.

 

Warum soll es der Kreisverwaltung besser gelingen, Menschen in Arbeit zu bringen, als dem Jobcenter? Die Vorlage bietet dafür keinen einzigen nachvollziehbaren Grund. Ihre Absicht, dezentrale Standorte einrichten zu wollen, kann man dagegen auch so lesen, dass man zu den alten Sozialämtern zurück will. Die Vermittlung von Jobs und Qualifikationen ist aber keine sozialräumlich Angelegenheit.

Und noch eine Frage, auf die die Vorlage der Verwaltung keine Antwort bietet. Es gibt einige Schnittstellen zwischen dem SGB II und dem SGB III. In der augenblicklichen Struktur haben Betroffene vergleichsweise problemlos auch Zugriff auf Leistungen aus dem Bereich SGB III. Wie soll diese Frage verwaltungstechnisch gelöst werden?

Kurzum: Ich halte nichts davon, dass die Landkreisverwaltung zusätzlich einen Aufgabenbereich übernimmt, von dem sie bisher nichts versteht und der ungeklärte finanzielle Risiken bringt.

Zum Schluss schildere Ihnen noch einen Eindruck, den ich aus Gesprächen mit Betroffenen habe: Nach den schlechten Erfahrungen, die sie mit dem Landkreis in Sachen „Kosten der Unterkunft“ gemacht haben, ist es für sie keine angenehme Vorstellung, dass die Kreisverwaltung künftig auch den Rest übernehmen will.

Das ist ein Mißtrauensvotum. Und angesichts der Tatsache, auf welcher schmalen Beratungsgrundlage heute ein Beschluss gefasst werden soll, kann ich mich diesem Mißtrauen nur anschließen.

Ich erinnere abschließend daran, dass ich eine Verweisung der Vorlage in den Sozialausschuss und in den Finanzausschuss beantrage."

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Die Cellesche Zeitung berichtete am 18.07.2015 unter dem Titel

und am 22.07.2015 unter dem Titel