Kundgebung auf der Celler Stechbahn

Reden von Behiye Uca und Oliver Müller

Mehr als 300 Menschen haben sich am Dienstag, den 25. April, auf der Stechbahn versammelt, um ihre Solidarität mit Feleknas Uca auszudrücken, die den Auftakt ihres Prozesses in Diyarbakir erlebte. Über die Kundgebung berichtete die Cellesche Zeitung sowie die Interbetportale CelleHeute und Celler Presse.

Nach der Kundgebung bedankte sich Behiye Uca bei allen Beteiligten:

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich bedanke mich bei euch für eure Solidarität und Unterstützung.

Am Vormittag unserer Kundgebung ist Feleknas in Diyarbakir vor Beginn des Prozesses verhaftet worden. Glücklicherweise wurde sie am frühen Abend wieder freigelassen. Die Gerichtsverhandlungen wurde auf September verschoben.

Ich denke, wir haben mit unserer parteiübergreifenden Solidarität ein deutliches zeichen in die Türkei gesandt, ein Zeichen für Freiheit und Frieden.

Der Ratsvorsitzende Joachim Falkenhagen hat es sehr gut zusammengefasst: "Feleknas Uca und viele andere werden wegen ihrer Meinung zur Rechenschaft gezogen, inhaftiert oder drangsaliert. Wir dagegen können unsere Stadt, unser Land, unser Europa mit vielen Ideen voranbringen. Und deswegen nehmen wir uns selbstverständlich auch die Freiheit, für Feleknas einzutreten, die ihr Land mit ihren Argumenten bereichern möchte. Was sind das für schwache Menschen, die dies nicht zulassen wollen."

Mein besondere Dank gilt unseren Gastrednern und Unterstützern: Herrn Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge, dem Ratsvorsitzenden Joachim Falkenhagen (FDP), Alexander Wille (CDU), Inga Marks (SPD), Bernd Zobel (Grüne), Iris Fiss (Unabhängige), Oliver Müller (BSG), Felix ?? (Wählergemeinschaft), Dirk Gerlach (Die Partei), Die Linke - Kreisverband Celle, Heval Devrim (NAV Dem), Yilmaz Kaba (NAV YEK) und meiner Familie und allen meinen Freunden.

Eure Behiye

 

Eröffnungsrede von Behiye Uca:

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich, dass so viele Menschen hier und heute ihre Solidarität mit Feleknas Uca bekunden wollen. Und wir stehen hier auch für Demokratie, Menschenrechte und Frieden.
Gerade haben uns wieder schreckliche Nachrichten erreicht: Die türkische Luftwaffe hat heute Nacht einen Großangriff auf Kurden und Eziden in Syrien und dem Irak geflogen. Wir erleben eine unglaublihe Aggression auf Milizen, die derzeit gegen den Islamischen Staat (IS) kämpfen. Die Türkei unterstützt damit den IS - was sonst?

Die internationale Koalition gegen den IS ist aufgefordert, ...

entschieden gegen die völkerrechtswidrigen Angriffe des NATO-Staates Türkei Stellung zu beziehen und weiteren türkischen Aggressionshandlungen einen Riegel vorzuschieben.

Diese Angriffe zeigen das der türkische Staat die Rakka-Operation zunichte machen will, um der IS eine Atempause zu verschaffen.

Ich fordere hier und jetzt: Schluss mit den Massakern an Eziden! Schluss mit den Angriffen auf Rojava!

Die Bundeswehr muss sofort ihre Tornados aus dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik sowie ihre Soldaten aus der Region Kurdistan-Irak abziehen. Andernfalls stellt sie sich – willentlich oder unwillentlich – an die Seite der Aggressoren.

Wir haben uns heute hier versammelt, um unsere Solidarität mit Feleknas Uca zum Ausdruck zu bringen. Sie ist nur eine von Tausenden, die zur Zeit in der Türkei verfolgt und angeklagt werden. Seit dem Putschversuch im vergangen Jahr sind mehr als 120.000 Staatsbedienstete entlassen worden. Und seitdem sind über 40.000 Menschen in Untersuchungshaft genommen worden.

Und viele Menschen haben ihr Leben verloren. Ich möchte darum zu einer Schweigeminute aufrufen für all jene, die ihr Leben im Kampf für Frieden, Demokratie und Menschenrechte verloren haben. Lasst und eine Minute schweigen und ihrer gedenken.

Em we radiwestînin deqaqê ji bo bîranîna hemû şehîdan dikin Riya wan,
ronahiya me Be.

Wir sind hier und heute zusammengekommen, um ein Zeichen zu setzen.  So darf es nicht weitergehen in der Türkei. Feleknas Uca ist nur eine von vielen, die jetzt wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt wird.

Meine jüngere Schwester ist vor 40 Jahre in Celle geboren. Sie ist hier zur Schule gegangen und sie hat hier eine Ausbildung zur Arzthelferin gemacht.

Sie hat sich früh schon für Politik interessiert und ist hier in Celle in die damals neu gegründete PDS eingetreten. 1999 ist sie in das Europaparlament gewählt worden. Dort war sie bis 2009 unter anderem Mitglied im Entwicklungsausschuss und machte sich für Frauenrechte stark. In Celle gründete sie eine eigene Stiftung zur Förderung der Rechte von Frauen und Kindern.

Als 2014 der Islamische Staat im Irak weite Teile unter seine Kontrolle brachte und einen Völkermord an der ezidischen Bevölkerung im Shingal verübte, hat sich Feleknas in einem Flüchtlingslager in Silopi in der Türkei engagiert. Im Jahr 2015 wurde sie von der HDP als Kandidatin für das Parlament aufgestellt. Ihr gelang in ihrem Wahlbezirk Diyarbakir der Einzug ins Parlament im Juni, auch bei der erneuten Wahl im November 2015.

Im Mai vergangenen Jahres ist die Immunität zahlreicher Abgeordneter aufgehoben worden, auch Feleknas war betroffen. Jetzt ist sie wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“ angeklagt, ein Vorwurf, wie er vielen HDP-Abgeordneten gemacht wird – und dies allein deshalb, weil sie in öffentlichen Reden mehr Rechte für Kurdinnen und Kurden eingefordert haben.

Am 8. März diesen Jahres bekam sie für ihren Kampf für die Rechte der Frauen in der Türkei den Clara-Zetkin-Ehrenpreis der Linkspartei verliehen Feleknas könnte zwar jederzeit nach Deutschland zurückkommen. Doch das kommt für sie nicht in Frage. Sie sagt: „Ich kann meine Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen.“

Wir, liebe Freundinnen und Freunde, dürfen Feleknas und die vielen anderen politisch Verfolgten in der Türkei nicht im Stich lassen.  Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat und wir sollten nicht zulassen, dass sich ein sogenannter NATO-Partner damit nichts mehr zu tun haben will.

Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung und die EU endlich ihrer Kuschelkurs gegenüber Recep Tayyip Erdoğan aufgibt. Ich wünsche mir einen radikalen Kurswechsel in der deutschen Türkei-Politik. Aus meiner Sicht heißt das:

Sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei! Abzug der in der Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten!
Stopp aller Waffenlieferungen in die Türkei!

Ich weiß, dass nicht alle, die hier heute stehen, diese Forderungen eins zu eins übernehmen. Aber ich bitte Sie: Denken Sie darüber nach, welche Mittel wir haben, die Türkei auf dem Weg in einer Diktatur zu stoppen.

Ich möchte jetzt die ersten beiden Redner nach vorne bitten. Ich freue mich besonderes darüber, dass unser Oberbürgermeister, Dr. Jörg Nigge, auf meine Nachfrage sofort seine Teilnahme an dieser Kundgebung zugesagt hat. Und ich freue mich genauso, dass der Ratsvorsitzende, Joachim Falkenhagen, ebensowenig gezögert hat.

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Die Reden von Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge und dem Ratsvorsitzenden Joachim Falkenhagen finden sich auf Celle-Heute.

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Und hier noch die Rede von Oliver Müller:

Ich freue mich, dass sich hier heute auf der Stechbahn so viele Menschen versammelt haben, um Feleknas Uca ihre Solidarität zu bekunden. Es ist skandalös, dass ihr wie auch vielen anderen Demokratinnen und Demokraten ein Prozess gemacht wird, weil sie sich öffentlich für die Rechte der Kurden in der Türkei und für Demokratie und Frieden einsetzt.

Die Entwicklung in der Türkei muss uns beunruhigen. Vieles deutet darauf hin, dass sich die Türkei auf dem Weg von der Demokratie in die Diktatur befindet. Und leider gibt es Parallelen zur Machteroberung der Nationalsozialisten im Jahr 1933.

Hitler ist bekanntlich auf legalem Weg Reichskanzler geworden. Und auch die Entmachtung des Parlaments durch das Ermächtigungsgesetz im März 1933 war formal betrachtet eine legale Selbstentmachtung. Die Opposition aber war in Teilen, soweit es Politikerinnen und Politiker der KPD betraft, bereits in den Gefängnissen und Konzentrationslagern. Die Zeitungen von SPD und KPD konnten nicht mehr erscheinen. Der öffentliche Dienst war gesäubert von Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden. Die Bevölkerung war entweder durch den Terror wie gelähmt oder unterwarf sich bereitwillig der Volksgemeinschaftsideologie der Nationalsozialisten.

Heute noch ist es für uns kaum nachvollziehbar, wie in einem halben Jahr die Demokratie in eine Führerdiktatur umgewandelt war. Denn im Juli 1933 war nicht nur das Parlament entmachtet. Der Förderalismus war abgeschafft. Die freien Gewerkschaften und Parteien waren verboten oder hatten sich selbst aufgelöst. Der öffentliche Dienst, die Presse, die Verbände und Vereine waren gleichgeschaltet. Und das Ausland schaute zu, entsetzt oder staunend.

Es ist unsere eigene Geschichte, die uns sensibel macht, für die aktuellen Entwicklungen in der Türkei. Denn wir wissen auch, wo die Formierung der Gesellschaft in die Volksgemeinschaft endete. Die Volksgemeinschaft kann es nur geben, wenn es ein Außen gibt: die Feinde des Volkes. Und wir wissen, dass die Großmachtambitionen der Nationalsozialisten unaufhaltsam in die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges geführt haben.

Ich ende mit dem bekannten Zitat von Martin Niemöller:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ [Zitat Ende]

Was lernen wir daraus? Wir sollten die Augen nicht davor verschließen, wenn Menschen allein aufgrund ihrer politischen Gesinnung verfolgt, verurteilt und verhaftet werden.

Feleknas Uca ist nur eine von vielen, die aktuell ungerechtfertigt in der Türkei angeklagt werden. Es geht uns um alle. Aber da viele unter uns Feleknas kennen, weil sie hier in unser Stadt geboren ist, weil sie über Jahre von hier aus als Abgeordnete im Europäischen Parlament war, bewegt uns ihr Fall in besonderer Weise.

Ich bin mir sicher, dass die türkische Regierung unsere Kundgebung hier heute zur Kenntnis nimmt. Ich danke Euch für die Solidarität, die ihr hier heute für Feleknas Uca und alle anderen politisch Verfolgten in der Türkei zeigt.