Die Kreisverwaltung hat auf die Anfrage des Klimabündnisses zur im Januar erfolgten Abschiebung eines Vaters aus dem Landkreis Celle mit vier Kindern nach Georgien geantwortet. Nach ihrer Auffassung ist die bestehende Ausreisepflicht "unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben durchgesetzt worden".

Im Einzelnen werden die Fragen wie folgt beantwortet:

1. Wieso wurde der Abholungstermin vor 6:00 Uhr gelegt?

Die Flüge werden nicht von der örtlichen Ausländerbehörde, sondern von der Landesaufnah­mebehörde gebucht. Auf Tag und Uhrzeit hat der Landkreis keinen Einfluss. Die Ankunft im Heimatland soll grundsätzlich möglichst früh erfolgen, damit die Weiterreise in den Heimatort oder das Aufsuchen einer Unterkunft möglichst noch am Tage stattfinden kann. Einige Länder bestehen sogar darauf, dass die Ankunft im Laufe des Vormittags stattfindet.
Wie bei jeder Flugreise müssen die Passagiere in der Regel drei Stunden vor Abflug am Flughafen sein. Da auch noch Zeit für das Packen der Koffer und für die Anfahrt zum Flughafen eingeplant werden muss, werden die Betroffenen oft schon sehr früh morgens oder noch in der Nacht aufgesucht.

2. Warum wurde die eingeleitete Abschiebung nicht abgebrochen, nachdem klar war, dass die minderjährigen Kinder von einem Elternteil getrennt wurden? Die Frau und Mutter war zum Zeitpunkt der eingeleiteten Abschiebung im siebten Monat schwanger, zwei Wochen später wäre sie im Mutterschutz gewesen.

Unter Ziffer 5.3 Abs. 4-5 des in der Anfrage zitierten Rückführungserlasses vom 07.07.2021 wird erläutert, dass, wenn ein erster Abschiebungsversuch wegen Widerstandshandlungen ab­gebrochen worden ist, bei einem weiteren Versuch eine Trennung der Familie erfolgen kann, wenn dies zuvor schriftlich angekündigt worden ist. An diese Vorschrift hat sich die Ausländer­behörde gehalten.

3. Warum wurde offenbar davon ausgegangen, dass die Ehefrau und Mutter trotz ärztlich attestierter Risikoschwangerschaft abgeschoben werden konnte?

Eine Risikoschwangerschaft führt nicht automatisch zu einer Flug- und Reiseunfähigkeit. Die gern. § 60a Abs. 2c Aufenthaltsgesetz (AufenthG) notwendige qualifizierte ärztliche Bescheinigung zum Gesundheitszustand wurde uns trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Eine ärztliche Betreuung war zudem zu jedem Zeitpunkt der geplanten Rückführung bis zur Ankunft im Heimatland sichergestellt. Auf ärztliches Anraten hätten wir die Abschiebung jederzeit abgebrochen. Dies war jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht notwendig. Diese Einschätzung wird auch dadurch nachträglich bestätigt,

dass die Ehefrau und Mutter neun Tage später auf eigenen Wunsch in ihr Heimatland zurückgekehrt ist. Zuvor wurde eine fachärztliche Bestätigung der Flug- und Reisefähigkeit ausgestellt.

4. Ist es richtig, dass eine Abschiebung im Mutterschutz rechtlich nicht möglich gewesen wäre?

Mit Beginn des Mutterschutzes nehmen die Fluggesellschaften die betreffenden Frauen nicht mehr mit. Zumindest eine Flug-Abschiebung ist während des Mutterschutzes somit aus tatsächlichen Gründen nicht möglich.

5. Die Rechtsbeistände der Familie haben darauf verwiesen, dass der Vater in Anbetracht seiner desolaten psychischen Verfassung nicht im Stande sei, die vier Kinder allein zu versorgen. Hat der Landkreis diese Situation bei seiner Entscheidung bedacht? Wenn ja, wie begründet er, die Abschiebung trotzdem vollzogen zu haben?

Zum Gesundheitszustand des Ehemannes und Vaters lag der Ausländerbehörde zum Zeit­punkt der Abschiebung keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vor.

6. Die Bundesregierung hat über ihren Koalitionsvertrag bekundet, ein sogenanntes „Chancen- Aufenthaltsrecht“ schaffen zu wollen, das Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe ermöglichen soll. Hätten die jetzt Abgeschobenen zum Personenkreis gehört, der dieses „Chancen-Aufenthaltsrecht“ in Anspruch nehmen kann?

Ein Gesetzestext liegt bisher nicht vor, so dass nicht beurteilt werden kann, ob die Familie unter eine solche Vorschrift fallen könnte.

7. In einem Report des Arbeitskreises Flucht und Asyl der IPPNW Deutschland mit dem Titel "Die gesundheitlichen Folgen von Abschiebungen. Eine Einordnung und Kritik aus ärztlicher und psychotherapeutischer Sicht" aus dem Jahr 2020 ist zu Situation von Kindern zu lesen:
„Selbst bisher gesunde Menschen können durch drohende und tatsächliche Abschiebungen und durch ein Leben in teils jahrelanger existenzieller Unsicherheit gesundheitlich schwer ge­schädigt werden. Für Kinder und Jugendliche gilt dies in besonderem Maß. Das Muster der Reaktionen auf diese Situation ist altersabhängig und individuell sehr variabel. Sehr kleine Kin­der reagieren oft mit Verhaltensauffälligkeiten wie Ess- und Trinkverweigerung, Schlafstörun­gen und autoaggressivem Verhalten. [...] Ältere Kleinkinderweisen häufig Symptome wie hart­näckige Verstopfung und nächtliche Angstzustände auf. [...] Abschiebungen nicht anzukündi­gen, führt offensichtlich besonders oft zu einer massiven Schädigung der betroffenen Kinder, die durch das nächtliche Eindringen der Polizei in ihre Unterkunft ausgelöst wird. [...] Die meis­ten älteren Schulkinder und Jugendlichen reagieren aber auf traumatisierende Situationen wie eine Abschiebung ähnlich wie junge Erwachsene. Zu den Symptomen der Traumafolgestörun­gen zählen Schmerzzustände, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Albträume, Hypera­rousals (Übererregung), Flashbacks und dissoziative Zustände.“
Im IPPNW-Report wird deshalb folgende Auffassung vertreten:
„Die Praxis der Abschiebung von Kindern und Jugendlichen verstößt oft gegen Artikel 2 (2) und Artikel 6 (1) Grundgesetz (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Schutz der Familie) und Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot erniedrigender oder un­menschlicher Behandlung). Sie verstößt immer gegen Artikel 3 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die bei uns geltendes Recht ist (Berücksichtigung des Kindeswohls bei allen staatlichen Maßnahmen).“
Bezieht die Kreisverwaltung derartige Erkenntnisse in ihre Entscheidungen ein? Wenn nein, warum nicht?


Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde versuchen immer, ausreisepflich­tige Personen in ausführlichen und wiederholten Gesprächen von den Vorteilen einer freiwilli­gen Ausreise zu überzeugen, insbesondere auch mit Hinweis auf die Kinder. Wenn es wegen fehlender Ausreisebereitschaft zu einer Abschiebung kommen muss, wird versucht, jede Eska­lation der Situation zu vermeiden und insbesondere mit den Kindern einfühlsam umzugehen. Leider nehmen einige Eltern auf die Gefühle der Kinder kaum Rücksicht und erschweren die Situation für die Kinder zusätzlich.
Grundsätzliche Erwägungen, ob Abschiebungen überhaupt stattfinden sollen, weil sie zu einer zu großen Belastung für die Betroffenen führen können, obliegen aber nicht der Exekutive, sondern allein dem Gesetzgeber. Die Verwaltung hat unter Beachtung der gesetzlichen Vorga­ben eine bestehende Ausreisepflicht umzusetzen.