Deutschland schau nicht weg

Free Shingal - STOPPT DEN GENOZID AN DEN EZIDEN

Über 1.500 Menschen demonstrierten am Freitag, den 8. August, in Celle gegen den ISIS-Terror gegen die christliche und ezidische Minderheit im Nordirak. Sie forderten die Solidarität und insbesondere schnelle Hilfeleistungen für die in die Berge geflüchteten menschen. Behiye Uca, Mitglied im Celler Kreistag und Stadtrat, hielt eine der Reden auf dem Großen Plan:

"Spätestens seit dem letzten Wochenende beschäftigen wir in Celle lebenden Ezidinnen und Eziden uns kaum noch mit etwas anderem, als die erschütternden Nachrichten über die Vertreibung und Ermordung der Menschen im irakischen Shingal zu verfolgen. Mit dieser Kundgebung heute versuchen wir, unserem Entsetzen Ausdruck zu verleihen. Wir Ezidinnen und Eziden stehen in dieser schlimmen Situation zusammen. Und ich bin dankbar, dass heute und hier auch viele unserer Celler Mitbürgerinnen und Mitbürger ihre Solidarität zum Ausdruck bringen.

Die Verfolgung von Ezidinnen und Eziden ist leider nichts Neues. Viele von uns haben hier in Celle eine neue Heimat finden müssen, weil wir in der Türkei verfolgt wurden. Verfolgung gehört zur Geschichte unserer Glaubensgemeinschaft. Für unsere Celler Mitbürgerinnen und Mitbürger will ich deshalb einen kurzen Überblick zu unserem Hintergrund geben:

Immer wieder in der Geschichte waren und sind Angehörige des Ezidentums Verfolgung und Gewalt ausgesetzt. Größere ezidische Gemeinschaften bestehen heute noch im Irak, in Syrien, im Iran und im Kaukasus sowie inzwischen hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. In der Türkei besitzen Angehörige der ezidischen Religionsgemeinschaft im Unterschied zu christlichen und jüdischen religiösen Minderheiten „keinen besonderen rechtlichen Status“. Infolge des Krieges zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Guerilla, aber auch systematischer Diskriminierung, Vertreibung und Verfolgung dieser Religionsgemeinschaft durch staatliche Kräfte und islamistische Gruppierungen hat die Mehrheit der Ezidinnen und Eziden die Türkei in den letzten 30 Jahren verlassen. Heute leben – oft bereits in der dritten und sogar vierten Generation –rund 80.000 Ezidinnen und Eziden in Deutschland.

Viele unserer Familien haben selbst Verfolgung erlebt. Deshalb trifft es uns ins Herz, jetzt hilflos zusehen zu müssen, ... wie die Terrorbanden des Islamischen Staates gegen Ezidinnen und Eziden vorgehen. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben euch und Ihnen einen Eindruck von der Dramatik der Situation gegeben. Es ist ein Wahnsinn, wie sich die Terroristen auch noch im Internet mit ihren Verbrechen darstellen – so zum Beispiel, dass Sie in den letzten zwei Tagen in Shingal über 500 ezidische Frauen Frauen entführt haben: Ich mag mir nicht vorstellen, was mit diesen Frauen passiert. Aber wir müssen hinschauen, denn es droht ein Genozid an der ezidischen Bevölkerung im Irak.

Was können wir tun? Am wichtigsten ist, dass wir die Bundesregierung auffordern, sich dafür einzusetzen, dass sofort humanitäre Hilfe für die Zehntausenden in die Berge von Shingal geflohenen Menschen wird. Ich habe mich – wahrscheinlich wie viele andere – mit diesem Appell am Dienstag die Bundeskanzlerin und den Bundesaußenminister gewandt. Es muss sofort ein humanitäres Hilfsprogramm in Gang gesetzt werden. Ich möchte auch alle meine Kolleginnen und Kollegen im Stadtrat und im Kreistag bitten: Schreiben Sie an Ihre Parteiführungen, machen Sie die Dringlichkeit unseres Anliegens in Berlin deutlich.

Meine Parteifreundin Ulla Jelpke ist am Montag zu einer zweiwöchigen Reise in die kurdischen Gebiete der Türkei, Syriens und des Irak aufgebrochen, um sich mit eigenen Augen ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Sie hat vor ihrer Abreise die zögerliche Haltung der Bundesregierung kritisiert. Ich zitiere: „Angesichts dieser dramatischen Situation eines drohenden Völkermordes ist die Forderung der Bundesregierung nach einer „diplomatischen Lösung“ durch die Bildung einer Allparteienregierung in Bagdad weltfremd und zynisch. Während kurdische Verteidigungseinheiten jetzt den Kampf gegen die Djihadisten aufgenommen haben, sollte die Bundesregierung schnellstens ein massives Hilfsprogramm für die Flüchtlinge auf den Weg bringen. Diese Forderung entspringt nicht nur humanitärer Verantwortung. Vielmehr ist die Terrorgruppe des Islamischen Staates, die in weiten Teilen Syriens und des Irak ein Kalifat ausgerufen hat, auch ein Produkt der von der Bundesregierung seit Jahren mitgetragenen westlichen Aggressionspolitik gegenüber Syrien einschließlich der Aufrüstung bewaffneter Oppositionsgruppen.“

Ich denke, Ulla Jelpke hat Recht. Wenn es darum geht, Menschenrechte und Demokratie im Nahen Osten zu fördern, wären die Kurdinnen und Kurden sicherlich der beste Ansprechpartner. Aber in der internationalen Politik ist leider das genaue Gegenteil der Fall.

Was können wir noch von der Bundesregierung erwarten? Sie sollte den vertriebenen Ezidinnen und Eziden die Möglichkeit geben, nach Deutschland einzureisen und den Schutzbedarf der Flüchtlinge großzügig anerkennen.

Am wichtigsten aber ist jetzt die humanitäre Hilfe. Wir können und wollen nicht zusehen, wie noch mehr vertriebene Menschen wegen des Mangels an Nahrung, Wasser und Medikamenten sterben müssen. Die internationale Staatengemeinschaft, die Vereinten Nationen müssen helfen: Jetzt!

Und wir müssen mit Appellen, Kundgebungen und Demonstrationen jetzt den dafür nötigen Druck aufbauen. Deshalb danke ich euch allen noch einmal dafür, dass ihr heute gekommen seid."