Behiye Uca (Die Linke):
"Chancen erkennen und nutzen"
In seiner letzten Sitzung des Jahres verabschiedete der Kreistag den Haushalt des Landkreises mit den Stimmen von CDU, FDP und Wählergemeinschaft. Im Zentrum standen die Kosten für Asylbewerber*innen. Behiye Uca rief dazu auf, die Chancen zu erkennen und zu nutzen, die in der Zuwanderung liegen. Hier ihre Rede:
"Ich habe gerade nicht den Eindruck, dass der Kreistag und insbesondere Landrat Wiswe die Chance erkennen, die die hohe Zahl der Geflüchteten uns bietet. Über die Frage, wie sich die Zuweisungen des Landes im Haushalt abgebildet werden, kann man gerne streiten. Bei der Position von Landrat Wiswe habe ich aber den Eindruck, dass es nicht nur um die Sache geht.
Ich sage: Wichtig ist es, die Chancen zu erkennen und zu nutzen.
Die Flüchtlinge aus Syrien, aus Afghanistan und aus dem Irak setzen vor den Augen der Welt ein Zeichen: Sie verweigern sich dem Krieg. Die jungen Männer, die in den vergangenen Monaten nach Deutschland gekommen sind, sind vor allem eins – sie sind Kriegsdienstverweigerer. Es ist meines Erachtens wichtig, dieses Zeichen zu verstehen.
Warum wollen so viele von ihnen nach Deutschland? Weil sie hier das zu finden hoffen, was es in ihren Ländern nicht mehr gibt: das Recht auf Leben und auf die Unantastbarkeit der Würde des Menschen.
Was heißt das? Diese Menschen schätzen die Basis unserer Verfassung mehr als Pegida und die AfD. Deshalb sollte man das Grundgesetz nicht in Flüchtlingsunterkünften verteilen, sondern besser an all jene, die mit klammheimlicher Freude zuschauen, wenn Flüchtlingsunterkünfte brennen.
Welche Chancen sind mit der Zuwanderung nach Deutschland verbunden?
Ich kann mich manchmal nur wundern. Auf allen politischen Ebenen klagt man seit Jahren über den demografischen Wandel. Um 7.000 Menschen hat die Kreisbevölkerung in den letzten zehn Jahren abgenommen. Jetzt ist die Chance da, einen Teil der daraus entstehenden Probleme zu lösen. Nur das muss man dann auch wollen – und nicht über die Kosten jammern.
Franz Müntefering von der SPD hat neulich in der Süddeutschen Zeitung auf einen sehr einfachen Gedanken hingewiesen; ich zitiere:
„Integration ist teuer. - Ja, das kostet. Aber wenn wir plötzlich die gewünschten 300 000 Kinder mehr hätten,
würden wir diese über 20 bis 25 Jahre mit viel Geld qualifizieren (wollen und müssen), Jahr für Jahr. Auch des Menschenrechts auf Bildung wegen. [...] Wir sparen [also] zurzeit Geld, das wir eigentlich zur Sicherung unseres heutigen Wohlstands in Bildung und Ausbildung investieren müssten. Es sind eben diese Menschen bisher nicht vorhanden gewesen.“ [Zitat Ende]
Und jetzt sind sie da. Und deshalb müssen wir eben jetzt investieren in Bildung und Integration.
Und wir müssen Chancengleichheit herstellen. Und da sind in der Umsetzung auch wir gefordert.
Dazu nur noch ein Gedanke. Chancengleichheit stellen wir nicht her, wenn wir die Menschen über Jahre in der Ungewissheit lassen, ob sie bleiben können. Das ist eine Motivationsbremse.
Und Chancengleichheit stellen wir nicht her, wenn die Menschen in unwürdigen Unterkünften leben müssen. Das darf nicht sein. Die dezentrale Unterbringung ist unsere wichtigste Aufgabe.
Ich habe den Eindruck, dass etliche Gemeinden im Landkreis diesen Weg gehen wollen. Aber sie brauchen dafür die Unterstützung des Landkreises. Ich wünsche mir, dass wir dazu im nächsten Jahr mehr Ideen entwickeln und dann auch bei der Finanzierung helfen. Ich hätte mir gewünscht, dass das Förderprogramm zur Schaffung von Wohnraum erheblich mehr aufgestockt wird als vorgesehen. Und wichtig wäre dann auch, dieses Programm intensiver bekannt zu machen.
Angesichts der Klimakonferenz, die gerade in Paris stattfindet, will ich auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Der Landkreis tut nach wie vor viel zu wenig gegen die Klimakatastrophe. Neben der Integration der Flüchtlinge ist das die andere große Baustelle. Deshalb mein Appell für das nächste Jahr: Wir müssen uns endlich und ernsthaft auch um die Umsetzung der Klimaziele bemühen.
Damit sind zwei Punkte benannt, an denen der Landkreis meiner Meinung nach zu wenig tut. Deshalb werde ich den Haushalt auch dieses Jahr ablehnen."